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Geschwehle, Droste-Wavlet ist eine Textperformance mit und über Texte von Annette von Droste-Hülshoff. Ihre Sujets, ihre Blicke, ihre Vorstellungen und Organisationen werden zergliedert und analysiert, überformt oder umgearbeitet und mittels moderner Ästhetiken neu projeziert. Im Fokus unseres Projektes stehen dabei Der Knabe im Moor und ihr Zyklus Klänge aus dem Orient.

Dabei schwenken und schwanken wir zwischen untergründig, moorig Schwelendem, brennenden und energiegeladenen Wortbriketts und überbrückenden Satzziegeln (siehe Bild oben).
Soweit die metaphorische Performancebeschreibung.

Konkret heißt das: Manche Gedichte werden nacherzählt, andere werden auf einen Kern reduziert oder zusammengefaßt oder interpretiert oder umgeschrieben oder ineinander überblendet oder oder oder oder noch was anderes.

Am Ende der Performance besitzt der Hörer eventuell mehr Fragen an die Welt, mit Sicherheit aber neue Lesarten der Droste. Und einen erweiterten Textklangraum, Raumklangtext, Klangtextraum, Klangtexttraum ...

Unsere Sprechduette dienen der Entfaltung von Texten, suchen Texte sicht- wie hörbar zu machen, ihnen Raum zu geben, sie, so Texte das vermögen, haptisch werden zu lassen. Entfaltung, mit einem Worte Walter Benjamins, gemeint nicht als Entfaltung in die Ebene und zu einem Blatt Papier, sondern so, wie eine Knospe sich entfaltet, auswächst also und verzweigt. Knospen aber begreift man nicht, indem man sie pflückt und trocknet oder an einzelnen Blättern zupft, vielmehr beläßt man ihnen ihre Lebendigkeit, betrachtet sie wiederholt, läuft um sie herum, verbringt Zeit mit ihnen und wohnt ihrer Entwicklung bei.

Der Knabe im Moor ist wohl das bekannteste Gedicht der Droste, ja eines der bekanntesten deutschsprachigen Gedichte überhaupt: Ein durchs Moor rennender Knabe, der von einer Vielzahl Phantomen gepeinigt wird und schlußendlich das rettende Heim erreicht. Die Phantome entstammen einer längst vergangenen Zeit, wobei undeutlich bleibt, ob sie der Phantasie des Knaben entspringen oder vielmehr sehr real sind.

Unsere Bearbeitung Die Phantome des Knaben erklingt als eine ganz neue Version: Die Phantome, begriffen als die Untiefen mikrodigitaler Schaltkreise, fast ein Jahrhundert von ihren zaghaften Anfängen entfernt, sind nun allgegenwärtig und durchwuchern potent unsere Leben.

In Die Phantome des Knaben ringen und rennen Ausführende wie Zuhörer um ihr Verständnis.

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Diese unbegriffenen Phantome, gleichzeitig phantastisch wie real, bedrängen unseren Blick auf Gegenwart und Zukunft. Metaphorisch und dystopisch gesprochen sind sie die Gräberknechte, die unseren Datentorf abstechen und verzechen, sind sie die KIs, die den Haspel durchs Datengeröhre schlagen und an neuen Verbindungen weben, sind sie der Geigemann ungetreu im Hochfrequenzhandel, oder auch die (Kinds)mörder unschuldiger Seelen, wenn digitale Projektionen unsere Vorstellungen mal wieder in ihre Untiefen hinabzuziehen drohen. Und immer bleibt klar: Diese digitalen Phantome sind ein menschliches Produkt.

Aber die drosteschen Phantome sind nicht nur Täter: Vielmehr handelt es sich bei diesen Wiedergängern selbst bereits um Geknechtete, sie wurden unschuldig schuldig über Vergehen an Gesetzen, die nicht die ihren waren. Weitestgehend lagen die Gründe ihrer Vergehen, deretwegen sie als Phantome weiterzuspuken gezwungen sind, in ihrer Armut.

Und so, wie die Drosteschen Phantome aus einem Unabgegoltenen der Geschichte entspringen und darin den Zeitgnossen eine doppelte Bürde sind, zum einen als Qual und Bedrohung, zum anderen als Aufgabe zur Lösung des Konfliktes, so eignet auch den Digitalphänomenen dieses Doppelte: Der unendlich langen Tradition eines logischen, binären, d.h. mit Oppositionen hantierenden Denkens entspringend und extrem effizient konkretisiert in den Hardwareschaltungen und Softwareprogrammierungen der jüngstvergangenen Zeit, stellen sie den Zeitgenossen einerseits die Weichen auf denkbaren Gleisen und müssen anderseits begriffen werden, soll das Gleissystem erweitert und Denkzüge umgeleitet werden. Denn dass die Spur des momentanen Zukunftszuges dringend neuer Wendungen bedarf, ist wohl unbestritten.

Reiche mir die Blutorange
Mit dem süßen Zauberdufte,
Sie, die von den schönsten Lippen
Ihre Nahrung hat geraubt.

Über Bagdads Tor ein Geier,
Kreisend über Dschafers Schädel,
Rauscht hinan und rauscht vorüber,
Hat zur Nahrung nichts gefunden,
Als in seiner Augen Höhlen
Nur zwei kleine Spinnlein noch.

Goethes Ost-Westlicher Divan war zu Drostes Zeiten sehr populär. Der Divan ist die romantische Behauptung eines ganz anderen Zustandes, einer poetischen Realität, festgemacht am idealisierten Geschlecht der Barmekiden. Mit Der Barmekiden Untergang erteilt die Droste dieser Idee gleich eingangs eine schroffe Absage.

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An dem Pfahle, da ist dein Platz
Und auf der luftigen Spindel,
Wo der Rabe dich grüßen mag,
Der ungesättigte Vogel.

Knospen, um im Bild zu bleiben, welken irgendwann. Wie unglaublich frisch die drosteschen Blüten noch immer sind, darüber ist zu staunen: Manchmal braucht es nur einen minimalen Winkelzug, einen beiläufigen Wink, einen winzigen Tausch und ihre Texte finden sich nach über 150 Jahren inmitten unserer hochtechnologischen Welt noch stets prächtig zurecht. Und sowohl Der Knabe im Moor als auch die Klänge aus dem Orient, das Gedicht und der Zyklus, die wir bearbeitet haben, spielen da mit – sie spielen mit uns, wenn wir sie lassen.

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