Thomas Kling und die lyrischen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs

Eine zweiteilige Textperformance

Die Performance verhandelt den Ersten Weltkrieg und seine poetische Darstellung aus zwei unterschiedlichen Richtungen:

Im ersten Teil werden Gedichte aus 14 unterschiedlichen Ländern präsentiert, die in den Jahren 1911-1919 entstanden sind und den Verlauf des Ersten Weltkriegs und sein Niederschlag in der Lyrik nachverfolgen. Die Gedichte thematisieren Kriegs- und Technikbegeisterung, Fronterfahrung, Tod und Sinnlosigkeit, bis hin zu Fragen nach der Abwesenheit Gottes und nach einer notwendigen Veränderungen der politischen Verhältnisse.

Im zweiten Teil wird diesem, ausgehend von Gedichten des 2005 gestorbenen Dichters Thomas Kling, eine zeitgenössische Sichtweise auf den Ersten Weltkrieg entgegengestellt. Klings Verse reflektieren nicht nur den Krieg, sondern auch dessen Vermittlung durch Film, Fotos, Postkarten und Erzählungen. Dabei wird deutlich, inwiefern die mediale Vermittlung bestimmt, was vom Krieg bleibt, in die Gegenwart reicht und das historische und poetische Gedächtnis formt. Beide Teile wurden für das poesiefestival berlin 2014 produziert und für eine Aufführung im Zimmertheater Rottweil ausgebaut.

Teil 1

"Katastrophen/Formen - Der Erste Weltkrieg in 9 lyrischen Bildern"

Der Erste Weltkrieg erschütterte nicht nur die politischen Landschaften weltweit. Er führte auch zu einem Zusammenbruch von Weltbildern und Wirklichkeitsmustern und veränderte die Künste und ihre Ausdrucksformen nachhaltig. Besonders deutlich wird das in der Lyrik, wie diese etwa 40-minütige Gedichtperformance deutlich macht.

Mit über dreißig Gedichten aus vierzehn der am Ersten Weltkrieg beteiligten Länder aus den Jahren 1911-1919 wird innerhalb von neun szenischen Bildern ein dramatischer Bogen gespannt. Vier SprecherInnen performen vor dem Hintergrund einer Bildershow mit historischen Materialien Gedichte von Achmatowa, Rilke, Marinetti, Kraus, Gyóni, Landau, McCrae, Tumanyon, Majakowski, Apollinaire, Brittain, Ball und anderen. Dabei werden Verlaufslinien des Krieges und der Wandel der (Sprach)Wahrnehmung eindrücklich nachgezeichnet. Das Umschlagen anfänglicher Kriegsbegeisterung in den Schock über die Gräuel des technisch-industriellen Massenkrieges wird auf eindringliche Weise plastisch.

Diese Gedichtperformance wurde mit der Literaturwerkstatt Berlin für das poesiefestival berlin 2014 produziert und im Rahmen dieses Festivals am Montag, 9. Juni 2014, in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg uraufgeführt.

Pressereaktionen:

Die Badische Zeitung schrieb: "Den verengten deutschen Blick [auf den Ersten Weltkrieg] weitete eine bemerkenswerte vielstimmige Bild-Wort-Performance, die Kriegspoeten aus [zahlreichen] europäischen Ländern zusammenführte."

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Foto: © gezett





Der Tagesspiegel paraphrasierte den Verlauf der Gedichtperformance folgendermaßen: "Wie Rilke "glühte" man zu Beginn des Krieges auch in den benachbarten Staaten "in eins zusammen", feierte mit Apollinaire den Krieg als ästhetisches "Wunder", bis man in den flandrischen Schützengräben allmählich zur Erkenntnis gelangte, dass "Gott eingeschlafen" sein muss, so der ukrainische Dichter Alfred Margul-Sperber und der Mensch dem Menschen "ein Menschenfresser" bleibt, wie Hoyhannes Tumanyan in seiner armenischen "Seelenmesse" intonierte."

Zu der Aufführung am Zimmertheater Rottweil schrieb die Rottweiler Neuen Zeitung: "Tiefen Eindruck bei den zahlreichen Besuchern hinterließ die Gedichtperformance zum Ersten Weltkrieg"

Und im Schwarzwälder Bote las man: "Gedichte beispielsweise von Anna Achmatowa, Georg Heym, Alfred Margul-Sperber oder Georg Trakl erzeugten Gänsehaut, und die von allen vier Sprechern vorgetragene dadaistische »Totenklage« von Hugo Ball markierte einen der Höhepunkte der Veranstaltung."

Teil 2

Kling Sichten


"Kling Sichten" ist ein performativer Textzyklus für zwei Sprecher, der verschiedene Gedichte Thomas Klings behandelt, die im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg stehen. Zentraler Ausgangspunkt ist Klings Gedicht "die schrift - echtfoto" aus dem 1999 veröffentlichten Zyklus "Der Erste Weltkrieg".

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Hervorstechend an Klings Zyklus ist die Gleichzeitgkeit von Geschichtsschreibung und Reflexion, Reflexion der Medialität und des Zustandekommens sowohl des vorgefundenen und bearbeiteten Materials wie auch seiner eigenen Produktion. "Kling Sichten" verhandelt Klings spezielle Poetik und seinen Zugriff auf Geschichte und Wirklichkeit.

Der Unmöglichkeit, Klings Gedichte simpel nachzusprechen, wird in "Kling Sichten" durch Be- und Verarbeitung des Materials begegnet. Die Klingschen Texte werden quasi übersetzt und für die Sprecher wiederaufbereitet, aber auch "re-zitiert" und u.a. mit einem Schriftfilm reinszeniert.

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So wird in der Ausschau nach exponierten Bedeutungen ein möglicher Horizont Klingscher Begriffe markiert. Klings Verse sind für "Kling Sichten" Rohmaterial und Wortbruch, aus denen die Leitplanken entstehen, entlang derer sich eine neuer Verständnisraum öffnet.





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"Katastrophen/Formen - Der Erste Weltkrieg in 9 lyrischen Bildern"

Texteinrichtung, Inszenierung, Visuals, Musik: Johann Reißer
 
SprecherInnen: Iwona Mickiewicz
Carolin Bohn
Xaver Römer
Julia Trompeter

"Kling Sichten"

basierend auf Texten von Thomas Kling aus:
"Der Erste Weltkrieg"
"wolkenstein.mobilisierun' "
Gespräche über Thomas Kling aus:
"Das Gellen der Tinte"
 
bearbeitet und gesprochen von: Julia Trompeter
Xaver Römer

Das Projekt wird gefördert durch die Kunststiftung NRW


Biographien der Beteiligten:

Carolin Bohn geb. 1978 in München. Studium der Literaturwissenschaften und Philosophie, Promotion über Lessings Darstellungstheorie. Auftritte als Schauspielerin und Sprecherin seit 2003, aktuell in Natrium Muriaticum bei der russisch-deutschen Künstlergruppe Die Delegation, philosophische Performances mit Anna von Schrottenberg.

Iwona Mickiewicz geb. 1963 in Polen, lebt seit 1988 in Berlin. Literatur- und Kunstprojekte zu Else Lasker-Schüler, Gertrud Kolmar, Jan Himilsbach u. a. Letzte Veröffentlichungen: "Sprachunterricht" (2014), „Meisterschaft“(2013), „Zu den Welten von Gertrud Kolmar" (2012), „Konstruktionen im Haus oder Iwan Iwanytsch am Fenster. Bagatellen und Novellen“ (2011). Seit vielen Jahren Sprecherin und Schauspielerin im Hörfunk, Film und Theater.

Johann Reißer geb. 1979 in Regensburg. Div. Lyrik- und Prosaveröffentlichungen. Seit 2009 Leiter der freien Theatergruppe „PlastikWorks“. Promotion zur Neuordnung der Lyrik unter den Vorzeichen von Archäologie und Sampling seit 1960 (veröffentlicht 2014 im Kulturverlag Kadmos). 2010 Jury-Preis bei „100Grad Theaterfestival Berlin“, 2014 Alfred-Döblin-Stipendium, Stadtschreiber in Rottweil. Aktuell Arbeit an Roman "Landmaschinenparadies".

Xaver Römer geb. 1969 Schwerte an der Ruhr. Seit 2008 arbeitet Römer gemeinsam mit Julia Trompeter am performativen Projekt "Sprechduette". Produktion mehrere Hörspiele. Als Musiker Zusammenarbeit mit Johann König, Jancee Pornick Casino u. a.. Römer verfasste zudem poetologische Essays und Gedichte. 2013 schloss Römer seinen Roman „Die Wacht am Rhein“ ab. Zurzeit arbeitet er an seinem zweiten Roman.

Julia Trompeter geb. 1980 Siegburg, promovierte in antiker Philosophie und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie an der Universität Bochum. Seit 2009 ist sie mit Xaver Römer in dem performatives Projekt „Sprechduette“ aktiv. 2011 war sie Finalistin des 18. Open Mike. 2012 wurde ihr das Rolf-Dieter-Brinkmann Stipendium der Stadt Köln verliehen. 2013 erhielt sie eine Förderung durch die Kunststiftung NRW und 2014 den Förderpreis des Landes NRW für junge Künstlerinnen und Künstler. Ebenfalls 2014 erfolgte die Veröffentlichung ihres Debütromans „Die Mittlerin“ (Schöffling & Co.).